Sebastian Kneipp sagte vor rund 150 Jahren, es sei „(...) kein Wunder, wenn Krankheiten so viele Opfer fordern, denn die Menschheit ist weit von der früheren, einfachen, natürlichen Lebensweise abgewichen. Nicht etwa, dass die Errungenschaften unserer Zeit wieder geopfert werden müssten, aber es muss ein Ausgleich gefunden werden, um die überanstrengten Nerven zu stärken, ihre Kraft zu erhalten. Es muss das Gleichgewicht hergestellt werden zwischen der Arbeit und der Lebensweise.“
An der Notwendigkeit und der Aktualität dieser Aufforderung hat sich – leider – nichts geändert. Doch was sich geändert hat, sind die vielen Möglichkeiten, um diesen inneren Ausgleich zu finden. Neue Lebens- und Arbeitsbedingungen prägen das 21. Jahrhundert: Die Globalisierung und der Strukturwandel der Wirtschaft, eine erhöhte Mobilität und Flexibilität im Berufsleben, Jobunsicherheit, prekäre Beschäftigungsverhältnisse, ständige Erreichbarkeit, ein Verlust der Pausenkultur und eine Entrhythmisierung des Alltags haben ihren Teil zur heutigen sozialen Entwicklung beigetragen.
Deshalb ist es wichtiger denn je, einen Ausgleich zu finden – um Körper und Seele in Balance halten zu können. Und diesen Ausgleich findet man in der Kneippschen Gesundheitskonzeption. Sie ist historisch verankert, aber zugleich hochmodern – und dementsprechend ideal für eine gesunde Zukunft!
Mittlerweile ist belegt, dass das Gesundheitsbewusstsein mit der Lebenserwartung zusammenhängt, von wirksamen Maßnahmen der Prävention und Gesundheitsförderung einmal ganz zu schweigen. Jeder kann jeden einzelnen Tag etwas für seine eigene Gesundheit tun. Nicht umsonst besteht national wie international Konsens darüber, dass ein hohes Maß an Gesundheit und Lebensqualität nicht nur für die Einzelperson, sondern für das Funktionieren ganzer Gesellschaften, darunter die Finanzierbarkeit der Gesundheitssysteme oder der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft, essentiell ist.
Die Kneippschen Wirkprinzipien und seine fünf Elemente dürften hinlänglich bekannt sein: Wasser, Bewegung, Ernährung, Heilpflanzen und Lebensordnung. Ein ganzheitlicher Ansatz – für ein Leben im Einklang mit sich selbst, den Anderen und der Natur. Durch die stetige, mittlerweile auch wissenschaftlich fundierte Weiterentwicklung der Kneippschen Lehre können die Selbstheilungskräfte angeregt und die Widerstandsfähigkeit gestärkt werden. Ein hoch wirksames Immunsystem, eine umfassende körperliche Fitness und eine überdurchschnittliche Stressresistenz sind unverzichtbare Voraussetzungen für unsere heutige Arbeitswelt.
Kneipp-Anwendungen sind mühelose Maßnahmen nach dem Motto: „Kleiner Aufwand – große Wirkung“. Sie lassen sich ganz einfach in den Arbeitsalltag einbauen und steigern durch regelmäßiges und korrektes Anwenden das persönliche Wohlbefinden. Ist man gänzlich unerfahren, sollte man klein anfangen und nach und nach das individuelle Kneipp-Wohlfühl-Programm steigern. Sebastian Kneipp folgte dem Grundsatz, „(...) möglichst gelinde auf die Natur einzuwirken“.
Bei den Wasseranwendungen beispielsweise ist vielen Menschen gar nicht bewusst, dass diese nicht nur an dem Körperteil wirken, der behandelt worden ist – nein, vielmehr bewirken die unterschiedlichen Anwendungen einen Tiefgang mit Breitenwirkung und beeinflussen alle Körpersysteme positiv. Für einige dieser Wasseranwendungen wird ein spezielles Kneipp-Gießrohr als Brause- oder Duschaufsatz benötigt – ich kann Sie aber beruhigen: Das kostet wirklich nicht die Welt!
Für andere, wie etwa das kalte Armbad, braucht man eigentlich nur ein Waschbecken (alternativ kann man sich natürlich auch ein offizielles Kneipp-Armbecken in unserem Kneipp-Shop zulegen). Das Becken wird mit etwa 12 Grad kaltem Wasser (es darf sich nicht unangenehm anfühlen) gefüllt und beide Arme bis zur Mitte der Oberarme eingetaucht. Nach 30 Sekunden – falls die Kälte schmerzt: früher – hört man damit auf, streift das Wasser ab (nicht abtrocknen) und bewegt sich, bis das Wärmegefühl eintritt. Ein ganz einfacher, kostengünstiger Kneipp-Muntermacher – Sie werden überrascht sein, wie Ihr Körpergefühl von so einer kleinen Maßnahme positiv beeinflusst werden kann!
Neben den Armbädern (kann man auch wechselwarm machen), dem äußerst gesunden Wassertreten, den vielen unterschiedlichen Güssen (vom Gesichtsguss bis zum Schenkel- und Armguss) und beruhigenden Wadenwickeln ist auch das Tautreten im Sommer bzw. das Schneetreten im Winter eine einfache aber effektive Methode das eigene Wohlbefinden zu fördern und die Abwehrkräfte zu stärken. Das Treten macht nicht nur Spaß, es kräftigt auch Venen und Durchblutung und stabilisiert das vegetative Nervensystem. Es hilft auch bei Kopfweh und häufig gegen Schweißfüße...
Allerdings muss gesagt werden, dass gerade die Kneippsche Gesundheitslehre auf dem Prinzip der regelmäßigen Übung basiert, vor allem um nachhaltige, gesundheitsförderliche Effekte zu erzielen. Es ist eine Art von Training, das mit Konstanz und Disziplin zu einer Harmonisierung aller körperlichen und geistig-seelischen Funktionen beiträgt. Regelmäßige Praxis ist bei allen fünf Elementen der Kneippschen Gesundheitslehre wichtige Grundvoraussetzung. Wie bereits erwähnt, veranlasst Wasser den Körper durch thermische, chemische, mechanische oder hydroelektrische Reize zu sinnvollen Reaktionen, die gesund machen bzw. gesund erhalten.
Das Element der Bewegung umfasst von der Massage bis zum Freizeitsport alles, was einem gut tut. Sebastian Kneipp legte besonderen Wert auf die individuelle Situation seiner Patienten: Dem Schreibtisch-Beamten verordnete er beispielsweise Holzhacken, Feldarbeit und flotte Spaziergänge. Es geht darum, das Bewegungsprogramm mit persönlichen Neigungen und Fähigkeiten abzustimmen. Gymnastik, Nordic Walking, Wandern, Radfahren oder Schwimmen gelten als geeignete und schonende Sportarten, die den ganzen Menschen fordern und entspannen.
Entspannung ist auch das nächste Stichwort – das Kneippsche Element der Lebensordnung oder auch innere Balance genannt. Die Anforderungen des Lebens einerseits und gesundheitsförderliche Maßnahmen andererseits in ein Gleichgewicht zu bringen – darum geht es bei der Lebensordnung.
Im Idealfall lebt der Mensch gesund und bemüht sich dabei auch um seelische Ausgeglichenheit, Stresstoleranz und soziale Kompetenz. Dabei können moderne interkulturelle Angebote wie Yoga, QiGong oder Tai`Chi behilflich und ansprechend sein – doch man muss auch nicht immer „(...) in die Ferne reisen, denn das Gute liegt so nah.“ Heißt letztendlich: Jeder Mensch muss für sich entscheiden, welcher Weg und welche Methoden für ihn am geeignetsten sind, um die Psyche in Balance zu halten. Dabei helfen individuelle Rituale, wie beispielsweise abends ein Buch zu lesen, Gesellschaftsspiele zu spielen, sich mit Freunden zu treffen oder zu telefonieren und vieles mehr.
Das Element der Heilpflanzen hat Sebastian Kneipp perfekt beschrieben: „Vorbeugen sollt Ihr durch diese Kräuter, nicht das Übel erst groß werden lassen.“ Er hielt große Stücke auf die heimische Pflanzenwelt und verwendete sie als Badezusätze, Tinkturen, Salben, Tees und Säfte. Dabei stützte der sich auf die lange Tradition der Klostergärten in Europa und entwickelte seine Therapie stetig weiter. Die Verwendung von Heilpflanzen, die quasi vor der eigenen Haustüre wachsen, ist mittlerweile eher selten geworden. Das Bewusstsein für die heimische Natur und die Schätze, die sie uns bietet, muss wieder gestärkt werden – denn leider hat sich unsere Gesellschaft weitgehend davon entfremdet.
Zu guter Letzt möchte ich noch das Kneippsche Element der gesunden Ernährung ansprechen. Eine bedarfsgerechte, vollwertige, schmackhafte und weitgehend naturbelassene Kost ist wichtige Voraussetzung für das Wohlbefinden. Sie trägt zum Gesundbleiben und Gesundwerden bei, indem sie die körpereigenen Schutzsysteme fördert. Nicht nur die Zusammensetzung der Speisen spielt für diese Wirkung eine Rolle, sondern auch das „Zusammensetzen“ am Tisch: Freude, Ruhe und Zeit gehören ebenso zu einer gesunden Mahlzeit wie Küchenkräuter, Obst und Gemüse. Und natürlich – der Genuss!
Gerade an diesem Beispiel zeigt sich, dass alle fünf Elemente sich inhaltlich überschneiden und erhebliche Wechselwirkungen aufeinander haben. Deshalb auch der Begriff „Ganzheitlich“. Alles hängt mit allem zusammen und kann nur innerhalb eines übergeordneten Systems funktionieren. Mit Angeboten in Theorie und Praxis betreiben rund 600 Kneipp-Vereine gesundheitliche Aufklärung in Deutschland und fördern das Bewusstsein für die Notwendigkeit von Prävention. Deshalb ist die Kneipplehre als moderne und effiziente Gesundheitsbewegung zu begreifen – ein präventives Konzept mit Zukunft, das hoffentlich auch bald immaterielles Weltkulturerbe der UNESCO ist. Deutschland ist seit Juli 2013 offiziell Vertragsstaat des UNESCO-Übereinkommens zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes. Der Kneipp-Bund wird innerhalb der Bewerbungsfrist einen Antrag zur Aufnahme der „Kneippschen Gesundheitskonzeption“ in das bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes einreichen.
Die Kneippsche Lehre verfügt über das Potenzial, sowohl in Lebens- als auch in Arbeitswelten die vorherrschende Lebensqualität in erheblichem Maße zu steigern. So hat beispielsweise die Zertifizierung von Kindertagesstätten, die ihren Tagesablauf nach den fünf Wirkprinzipien und der Lehre Kneipps ausrichten, in letzter Zeit eine immense Nachfrage und ausschließlich positiven Zuspruch erfahren. Mittlerweile sind 383 Kitas vom Kneipp-Bund zertifiziert. Die Gesundheitsbildung von Kindern muss und wird eine immer größere Rolle spielen.
Dabei ist die vermehrt zu beobachtende Rückbesinnung auf traditionelle und sanfte Heilmethoden bzw. Naturheilverfahren in unserer Gesellschaft die beste Argumentation für Kneipp. Oder wie Sebastian Kneipp zu sagen pflegte: „Ich habe die Überzeugung gewonnen, dass die Kräuter und manche Hausmittel noch immer die besten Heilmittel sind.“
© Text und Fotos: Kneipp-Bund e.V.